Die Algenfischerinnen von Sansibar

17. Juni 2021

Die Algenfischerinnen von Sansibar – damals und jetzt

(Autor: Corinna Hohlwein)

Im Jahr 2010. Die Küsten Sansibars sind flach und sandig. Algen wachsen an kurzen Leinen, die zwischen Stöcken gespannt sind. Bei Ebbe liegen die Felder der Rotalgen im knietiefen Wasser, dann ist es Zeit für die Ernte. Die Algenfischerinnen waten und pflücken unter brennendem Sonnenlicht im aggressiven Salzwasser, in dem auch giftige Fische schwimmen.  Sie erwirtschaften ihre eigenen Einkünfte in einer Gesellschaft, die sich nicht mehr durch Fischfang ausreichend versorgen kann, da diese unter anderem durch Dynamitfischerei zurückgegangen sind.

Aquakulturen von Eucheuma (Rotalgen) in Sansibar, Oktober 2009 (Bild: https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.5/ch/deed.en)

Heute, zehn Jahre später in Sansibar: Neue Strategien sind nötig, denn der Klimawandel gefährdet den Algenanbau

Höhere Temperaturen und Wellen beschädigen die Aquakultur an den Sandküsten Sansibars und bringen damit auch die wirtschaftliche Unabhängigkeit der Algenfischerinnen in Gefahr. Der Ausweg: Anbau im tiefen Wasser.

In den 1980er Jahren kam der Algenanbau nach Tansania. Damals in einer vorwiegend muslimischen Gesellschaft war es ungewöhnlich, dass Frauen ihren Lebensunterhalt selbst verdienten. Heute arbeiten circa 21.000 Frauen in Sansibar an der Rotalgenzucht. Das so genannte „rote Gold“, wie die Alge auch genannt wird, macht ein Viertel des Bruttosozialproduktes des Landes aus. 

Vielseitiger Extrakt

Der weltwirtschaftlich begehrte Stoff heißt Carrageen, auch E407 genannt. Diese Substanz verwendet die Industrie als Bindemittel in Lebensmitteln, Medikamenten und Kosmetika. Jährlich wird mit Carrageen weltweit ein Umsatz von circa 6,5 Milliarden Euro erwirtschaftet.  Der Algenextrakt stammt aus den Rotalgen Eucheuma cottonii und aus Eucheuma spinosum.

Veränderungen stressen

Schon vor zehn Jahren bemerkten die Algenfischerinnen, dass die angebauten Algen langsamer wuchsen und starr sowie innerlich weiß wurden. Ein besorgniserregendes Phänomen, das die Meeresbiologin Dr. Flower Ezekiel Msuya von der Universität Daressalam vor Ort schon über zwei Jahrzehnte untersucht. Einen Zusammenhang sieht sie in dem Anstieg der Meerestemperatur von in den 90ern höchstens 31°C auf nun schon bis zu 37°C. Der Klimawandel wirkt hier vielfältig auf das Ökosystem.

Die Rotalgen sind durch diese Wassererwärmung gestresst und produzieren dabei eine Substanz, die Bakterien anzieht. Auch die eingeschwemmten Nähstoffe der erodierenden Küste spielen eine Rolle. Eine weitere Gefahr: Epiphyten, aufsitzende Pflanzen, welche die Alge verändern und wertlos machen.

Das Beispiel zeigt, dass schon mäßige Klimaveränderungen dramatische soziale Auswirkung haben können. Um den Algenanbau zu retten, gründete Flower Msuya das Netzwerk Seaweed Cluster, in dem die Algenfischerinnen mit Wissenschaftlern, NGOs und Regierungsvertretern verbunden sind. Rettend erweist sich auch, dass die Farmerinnen einen Teil ihrer Ernte nun selbst vermarkten und somit bessere Einkünfte erzielen können.

Ruhige und kühle Tiefe

Anhand ihrer Studien erkannte Msuya, dass die Algen etwas weiter von der Küste entfernt in tiefem kühlem Wasser besser gedeihen. Sie motivierte die Farmerinnen dort zu kultivieren. Dazu müssen die Frauen aber erst einmal schwimmen lernen. Dank der Kooperation im Seaweed Cluster finden sie dabei Unterstützung. Momentan fahren sie mit den Fischern hinaus, um die Felder zu bestellen. Nur Männer können bislang Boote steuern und schwimmen.

Im tiefen Wasser werden die Netzschläuche, in denen sich kleine E. cottonii befinden, zwischen schweren Steinen auf dem Meeresgrund und Bojen, die auf dem Wasser treiben, befestigt. Diese Tubular Net Method hat Dr. Msuya in Brasilien gelernt. Die Algen wachsen hier draußen deutlich besser, und es gibt noch einen Vorteil: Fische, die in den Netzen brüten. Die Algenfischerinnen fangen diese nun auch ein und betreiben somit eine „Ko-Kultur“: Die Nutzung von zwei Arten an demselben Ort. Gerade entdeckten die Forscher eine weitere Ko-kultur zwischen den Algen und der Seegurke. In China ist Letztere eine Delikatesse. Das könnte die Chance sein, ein neues Produkt auf den Markt zu bringen.

Strand von Sansibar nördlich von Stone Town (Quelle: C.H.)